Jahrzehntelang hat man Implantate von der Zahnfüllung über das Hüftgelenk bis hin zur künstlichen Herzklappe aus Materialien hergestellt, die vor allem ein Kriterium erfüllen mussten: Stabilität. Was sich in der Raumfahrt und der Flugzeugtechnik bewährt hatte – beispielsweise Titan oder Teflon -, wurde auch in den Körper als sogenanntes „Biomaterial“ eingepflanzt. Und der musste sich dem fremden Material anpassen.

Das funktionierte mehr schlecht als recht, denn an den glatten Oberflächen des Implantats bilden sich störende Ablagerungen, etwa des für die Blutgerinnung wichtigen Proteins Fibrinogen, das in künstlichen Blutgefäßen zu gefährlichen Blutgerinnseln führen kann. Inzwischen zeichnet sich aber ein Umdenken in den Materialwissenschaften ab. „Bauen mit der Natur“ ist das Prinzip der sogenannten biomimetischen Werkstoffe – organische Vorbilder nachahmenden Materialien, deren funktionalisierte Oberflächen dem Körpergewebe so ähnlich sind, dass die umgebenden Zellen dort aufwachsen und das Implantat gewissermaßen in den Körper integrieren.

[B]Ein Material, das dem Chitin im Insektenpanzer ähnlich ist[/B]

Knochenverluste durch einen Unfall, eine Entzündung oder eine Tumorerkrankung werden häufig mit dem Knochenersatzmaterial Kalziumphosphat behandelt. Dieses dichte Material unterscheidet sich stark von der filigranen, schwammartigen Struktur (Spongiosa) im Knocheninneren. Die leichte und doch äußerst druckfeste Konstruktion natürlicher Knochen besteht aus einem Hydroxyl-Apatitgerüst und dem Strukturprotein Kollagen, einer Art Knochenleim.

Materialwissenschaftler um Klaus Jandt von der Universität Jena haben diese Architektur durch eine Trägerstruktur aus Chitosan imitiert, einem Material, das dem Chitin im Insektenpanzer ähnlich ist. Sie erzeugten daraus ein schwammartiges Chitosangerüst, auf dessen Oberflächen sie zusätzlich Nanopartikeln aus Hydroxylapatit abscheiden. Dadurch entstand ein Knochenersatz, der dem Knochen nicht nur in seiner makroskopischen Struktur ähnelt, sondern auch eine ähnlich rauhe Oberfläche aufweist.

In Laborversuchen konnten die Jenaer Materialwissenschaftler beobachten, dass Knochenzellen auf diesem Material viel besser aufwachsen als auf nichtmineralisierten Trägerstrukturen (“Acta Biomaterialia“, Bd. 2, S. 75). Biomimetische Ansätze spielen auch bei neuem Knorpelersatz eine Rolle. Jürgen Mollenhauer von der Universität Tübingen beschäftigt sich mit der Grenzfläche zwischen Knochen und Knorpel, um biomimetische Oberflächenstrukturen für die nächste Generation von Implantaten zu entwickeln (“Advanced Engineering Materials“, Bd. 9, S. 1097).

[B]Kurz vor der klinischen Erprobung[/B]

Eine weitere Möglichkeit, Implantate mit ihrer biologischen Umgebung stärker zu verzahnen und den natürlichen Prozessen im Körper anzupassen, ist die Funktionalisierung ihrer Oberflächen mit einer mehrlagigen Beschichtung, die der natürlichen Umgebung der Zellen des stützenden Bindegewebes nachempfunden ist. Im Körper besteht diese Matrix im Wesentlichen aus Proteinen, Polysacchariden und Wasser. Jandt und seine Mitarbeiter haben diese verbindende Schicht auf einer Titanoberfläche imitiert, indem sie mehrere Nano-Schichten aus Chitosan und Gelatine im Wechsel aufbrachten. Statt der Gelatine kann man auch Seiden-Fibroin verwenden, wie die Forscher kürzlich zeigten. Zu der Schichttechnik inspirierte sie der Schutzpanzer von Käfern und der ebenfalls schichtartige Aufbau von Fischschuppen, die eine große Haltbarkeit bei geringem Gewicht aufweisen.

Angereichert mit natürlichen, das Wachstum fördernden Substanzen wie Peptiden und Polysacchariden, erwies sich diese mehrlagige Schicht für die Knochenzellen als äußerst attraktiver Nährboden. Im Laborversuch haben die Jenaer Wissenschaftler beobachtet, dass die Multischicht sogar, ähnlich wie im biologischen Gewebe, von den Zellen umgebaut werden kann (“Journal of Biomedical Material Research“, Bd. 82A, S. 927). Auch die natürliche umgebende Struktur wird ständig umgebaut, denn sie leistet neben ihrer stützenden Funktion einen wichtigen Beitrag zur Vermehrung und Verbreitung von Zellen. Ebenso vermittelt sie Wechselwirkungen zwischen Zellen. Beschichtete Titanoberflächen, die diese verbindenden Funktionen übernehmen, stehen kurz vor der klinischen Erprobung.

[B]Ein besonders guter „Leim“[/B]

Neben der biochemischen Funktionalisierung von Oberflächen hat sich auch die Kombination mit der physikalischen Strukturierung als vielversprechend erwiesen. Angeregt durch die Arbeiten seines Kollegen George Whitesides an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts), hat Jandt eine Art Mikro-Stempel entwickelt, mit dem er auf die Oberfläche von Implantaten Muster aus Molekülen aufdrucken kann. Diese Moleküle besitzen ein Kopfende, das sich durch Selbstorganisation entlang der gestempelten Linien auf dem Implantat anordnet.

Das frei wählbare andere Ende der stäbchenartigen „Tinten-Moleküle“ besteht aus einer biochemischen Gruppe, die der Oberfläche unterschiedlichste Funktionen verleihen kann: Sie verhindert die unerwünschte Ablagerung von Proteinen wie Fibrinogen, fördert das Aufwachsen von Zellen oder besitzt antimikrobielle Eigenschaften (“Advanced Engineering Materials“, Bd. 12, S. 1123).

[B]Das Versprechen von einem wachsenden Markt[/B]

Als besonders guter „Leim“ für Knochenzellen hat sich eine Sequenz aus mehreren Aminosäuren erwiesen, die aus dem Protein Fibronectin stammt. Aber auch synthetische Moleküle, etwa Epoxide, scheinen Zellen magisch anzuziehen. Knochenimplantate, die auf diese Weise in einem bestimmten Muster strukturiert wurden, verstärken das Material nach natürlichem Vorbild in Richtung der größten mechanischen Beanspruchung.

Der biomimetische Ansatz dürfte sich bei Implantaten , wenn sich die Erwartungen von Jandt erfüllen, innerhalb der kommenden fünf Jahre durchsetzen. In der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde hat der Forscher einen eigenen Fachausschuss für Biomaterialien ins Leben gerufen, der die deutschen Aktivitäten auf diesem international stark wachsenden Gebiet bündelt. Der demographische Wandel verspricht den Herstellern von Implantaten einen wachsenden Markt. Denn alte Menschen sind besonders oft auf solchen Ersatz angewiesen.

quelle: faz.net

Belsky Asked question 31. März 2008