[B]Deutsche Forscher haben eine Analysemethode entwickelt, die schon in wenigen Jahren dabei helfen kann, Infektionen und Krebs in der Atemluft aufzuspüren. Bei dem nicht-invasiven Verfahren brauchen Patienten nur kurz in ein Röhrchen zu pusten. Das Messgerät liefert schon wenige Minuten später das Ergebnis.
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Bisher ließ nur die Polizei ins Röhrchen pusten. Bald könnten aber auch Ärzte ähnlich verfahren. Im Gegensatz zu den Ordnungshütern würden sie in der Atemluft ihrer Patienten jedoch keinen Restalkohol aufspüren, sondern Krebs und Infektionskrankheiten. Zu diesem Zweck haben Forscher des Dortmunder Institute for Analytical Science (ISAS) ein Messgerät entwickelt, das Patientenluft auf verschiedene Substanzen untersucht. Im menschlichen Atem kommen alleine 400 bis 600 chemische Verbindungen vor, die durch den Stoffwechsel des Menschen erzeugt werden. Krankheiten beeinflussen den Stoffwechsel und somit die Zusammensetzung der chemischen Verbindungen in der Atemluft. Zum Beispiel deuten erhöhte Konzentrationen von Aceton auf Diabetes hin.
Spektrometer zerlegt Atem in molekulare Bestandteile
Um den Atem eines Menschen im so genannten Ionenmobilitäts-Spektrometer analysieren zu können, genügt den ISAS-Forschern zehn Milliliter Luft, die Testperson muss also nur kurz ins Gerät pusten. Die Luft strömt vom Mundstück zuerst in einen kleinen Kasten. Er enthält einen Stapel aus 1000 parallel ausgerichteten Kapillaren, jede nur 43 Mikrometer dick. Abhängig von Größe, Gestalt und chemischen Eigenschaften durchwandern die Substanzen der Atemluft mehr oder weniger schnell die dünnen Röhren, bis sie auf ein Gitter stoßen, das sich alle 100 Millisekunden periodisch öffnet und wieder schließt. Dahinter befindet sich eine weitere Apparatur, die die einzelnen Moleküle des Substanzgemischs noch stärker auftrennt.
Zuerst werden alle Moleküle, die das Gitter hinter sich gelassen haben, mit Hilfe einer Ionisationsquelle elektronisch aufgeladen. Das versetzt die ionisierten Moleküle in die Lage, durch ein elektrisches Feld zu driften. Je beweglicher ein bestimmtes Molekül ist, desto schneller erreicht es das andere Ende der Driftröhre, wo ein Detektor das Auftreffen der Moleküle registriert. Jede Substanz hat eine charakteristische, unveränderliche Driftzeit, anhand der sie identifiziert werden kann. Nachdem die Testperson in das Gerät gepustet hat, vergehen gerade 10 Minuten, bis das Ergebnis der Analyse vorliegt. Eine spezielle Software hilft den Forschern bei der Auswertung der Daten.
Raschere Diagnose von Infektionskrankheiten
Die Schnelligkeit der Ionenmobilitäts-Spektrometrie (IMS) könnte zukünftig die Behandlung von Infektionskrankheiten entscheidend verbessern. “Bisher vergehen meist mehrere Tage, bis der genaue Erreger der Krankheit bekannt ist”, erklärt der Physiker Jörg Ingo Baumbach, der am ISAS das Projekt verantwortet. “Solange bleibt dem Arzt nur der Einsatz von Breitbandantibiotika mit all den damit verbundenen Nachteilen.” Mit der IMS könne der Arzt im Atem des Erkrankten Stoffwechselprodukte der Krankheitserreger rasch feststellen und sofort mit einer zielgerichteten Therapie beginnen.
Auch in der frühzeitigen Diagnose von Lungenkrebs sieht Baumbach ein Anwendungsgebiet für die elektronische Nase. In einer Pilotstudie wurde in der Lungenklinik in Hemer gezeigt, dass 36 Patienten mit Lungenkrebs in ihrer Atemluft ein spezifisches Substanzmuster aufwiesen, das sie eindeutig von 54 gesunden Probanden unterschied. Allerdings war den Ärzten der Klinik schon vorher bekannt, welche Testperson an einem Bronchialkarzinom litt und welche nicht. Im Moment überprüfen die Mediziner um Michael Westhoff, Chefarzt für Pneumologie am Klinikum Hemer, die Methode an einem größeren Patientenkollektiv. “Damit unsere Messungen reproduziert werden können, wollen genau wissen, ob es das Ergebnis beeinflusst, falls der Patient geraucht hat, noch raucht oder an einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) leidet”, sagt Westhoff.
Raumluft beeinflusst Messergebnis
Auch der Ort, wo die Messung vorgenommen wird, kann das Ergebnis verändern. Es mache, so der Lungenarzt, einen Unterschied, ob man in einer Intensivstation messe, wo jeden Tag mehrfach der Boden mit einem Desinfektionsmittel ausgewischt werde, oder in einem Raum, der mit einem Teppichboden ausgelegt sei. Westhoff: “In beiden Fällen befinden sich in der Raumluft andere Substanzen, die sie auch im Patientenatem wieder finden.” Deshalb müsse bei jeder Messung ein Kontrollabgleich mit der Raumluft erfolgen. In einem weiteren Schritt wollen die Mediziner auch die Identität der Substanzen aufklären, die das charakteristische Muster der Krebspatienten verursachen.
Erst wenn all diese Fragen geklärt seien, kann sich Westhoff vorstellen, dass eine multizentrische, doppelt verblindete Studie endgültig die Wirksamkeit des neuen Verfahrens demonstriert. Westhoff glaubt nicht, dass die Methode schon in Kürze wirklich so ausgereift sei, um früher als bisher Lungenkrebs flächendeckend zu diagnostizieren. Für ihn ist die Ionenmobilitäts-Spektrometrie eher eine Ergänzung in der Nachsorge von Lungenkrebspatienten, die Medizinern dabei hilft, Rezidive rascher aufzuspüren. “Wir würden die Atemluft von Patienten, deren Bronchialkarzinom operativ entfernt wurde, nach der OP in regelmäßigen Abständen darauf kontrollieren, ob das für Krebs charakteristische Muster wieder auftaucht”, erklärt der Pneumologe die Vorgehensweise.
Komapatienten profitieren von neuer Methode
Auf ähnliche Weise könnten im Koma liegende Patienten in Intensivstationen überprüft werden. Bei ihnen ist die Gefahr groß, dass sich unbemerkt Bakterien ins Bronchialsystem einnisten und eine Lungenentzündung auslösen. Um das zu verhindern, hätten Ärzte durch die IMS die Möglichkeit, den Atem von Komapatienten täglich zu analysieren. Sie könnten so frühzeitig Muster entdecken, die auf eine beginnende Besiedlung mit pathogenen Keimen hinweisen.
Am ISAS sind die Forscher um Ingo Baumbach mittlerweile dabei, zwei Geräteprototypen zu entwickeln, die eines Tages entweder in der Intensivmedizin oder in Hauspraxen eingesetzt werden können. Finanziell unterstützt sie dabei das Bundesministerium für Forschung und Bildung, das eine Million Euro bereitgestellt hat. Die Prototypen sollen Ende des Jahres einem größeren Publikum präsentiert werden. Baumbach rechnet damit, dass das Spektrometer, sobald es in einer größeren Stückzahl hergestellt wird, weniger als 40000 Euro kostet. Doch bis die IMS routinemäßig und von jedem Arzt bedienbar zum Einsatz kommt, vergehen nach Ansicht von Westhoff noch rund fünf Jahre. Das Pusten in ein Spektrometer könne sich dann jedoch als Ergänzung zu Blut- oder Urinproben schnell als weitere Informationsquelle über den Gesundheitszustand des Patienten etablieren.
Quelle: doccheck.com