Parodontitis kann die Betroffenen nicht nur Zähne kosten, sondern auch Folgeschäden im ganzen Körper anrichten. Doch scheinen die Deutschen nicht ausreichend um das Problem zu wissen – und um den Wert einer guten Mundhygiene für die Vorbeugung.

Gerade einmal 11 Prozent der Deutschen entscheiden sich unter fünf Auswahlmöglichkeiten für die richtige Definition von Parodontitis. Sie lautet: »Entzündung des Zahnhalteapparates, die auch den Kieferknochen befallen hat.« Zu diesem Ergebnis kommt eine Telefonbefragung an 1001 Personen, die das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) vergangenen Januar veröffentlichte. Ungefähr die Hälfte der Befragten gab immerhin an, dass Parodontitis irgendwie mit dem Zahnfleisch zusammenhängt. Doch zwei Drittel kannten weder den drohenden Zahnausfall noch andere Folgeerkrankungen. Und 70 Prozent wussten nicht, dass eine unzureichende Mundhygiene einen Risikofaktor für Zahnbetterkrankungen darstellt.

»Davon betroffen sind in Deutschland rund 23 Millionen Menschen«, sagte Oesterreich. Er stützte sich dabei auf die Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie, die das IDZ 2006 veröffentlicht hat. »Gegenwärtig leiden demnach rund 40 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an Parodontitis in einer milden oder mittleren Ausprägung. Bei weiteren 12 Prozent liegt sogar eine schwere Form vor.« Damit habe die Erkrankungshäufigkeit gegenüber der Dritten Mundgesundheitsstudie von 1997 zugenommen, insbesondere in der Gruppe der Senioren. Grundsätzlich stelle die Parodontitis neben der Karies ein Hauptkrankheitsbild der Zahnheilkunde dar.

Keine Parodontitis ohne Plaque

Wie die Karies lässt sie sich auch auf Bakterien zurückführen, die zu Millionen die Mundhöhle bevölkern. »Manche dieser Keime bilden auf den Zahnoberflächen Beläge (Plaque), insbesondere bei unzureichender Mundhygiene«, erläuterte Professor Dr. Ulrich Schlangenhauf, Leiter der Abteilung für Parodontologie in der Zahnklinik der Universität Würzburg. »Diese bakteriellen Beläge setzen giftige Stoffe frei, die ins umliegende Zahnfleischgewebe eindringen. Um sie zu beseitigen, reagiert das menschliche Immunsystem mit einer Entzündung.« Deren frühe, oberflächliche Form, die Gingivitis, äußert sich relativ unauffällig, durch Rötungen, Schwellungen und eine Blutungsneigung, etwa beim Kauen oder Zähneputzen. Im weiteren Verlauf rückt die Entzündung bis zum Kieferknochen vor und zerstört dabei Fasern, die den Zahn normalerweise im Knochen verankern. Dadurch entstehen tiefe, dicht von Bakterien besiedelte Hohlräume, sogenannte Zahnfleischtaschen.

Den Beweis, dass bakterielle Plaque Zahnfleischentzündungen verursacht, erbrachten Dr. Harald Löe und Kollegen vom Royal Dental College im dänischen Aarhus bereits 1965. »Ihre Testpersonen, allesamt Zahnmedizinstudenten, durften sich eine Woche lang nicht die Zähne putzen«, berichtete Schlangenhauf. »Bei fast allen zeigte sich anschließend eine Gingivitis.« Seitdem seien Studien gefolgt, die den Zusammenhang zwischen bakteriellen Belägen und ihrer mineralisierten Form, dem Zahnstein, und der chronischen Parodontitis belegen. »Außerdem kennen wir inzwischen verschiedene Risikofaktoren, die ihr Auftreten begünstigen.« Dazu zähle insbesondere eine erbliche Vorbelastung. So finde sich bei vielen Parodontitis-Patienten eine genetische Disposition, die eine Überproduktion des Immun-Botenstoffes Interleukin-1 und damit eine überschießende Entzündungsreaktion im Zahnfleisch mit sich bringe. »Auch bestimmte Lebensbedingungen scheinen eine vermehrte Freisetzung von Interleukinen und anderen entzündlichen Botenstoffen zu verursachen, vor allem psychischer Stress, Tabakkonsum und ein schlecht eingestellter Diabetes.«

Folgen im ganzen Körper

Doch auch umgekehrt besteht eine Wechselbeziehung zwischen Parodontitis und Zuckerkrankheit. »Aus den Entzündungsherden im Zahnfleisch gelangen Bakterien ins Blut«, sagte Schlangenhauf. »Sie beeinträchtigen die insulinvermittelte Glucoseaufnahme in die Skelettmuskeln, verschlimmern also eine Insulinresistenz.« Das erschwere bei Diabetikern die Einstellung eines optimalen Blutzuckerspiegels und erhöhe das Risiko für diabetische Komplikationen wie Netzhaut- oder Nierenschäden. Weiterhin scheinen sich Bakterien oder deren Toxine, wenn sie aus der Mundhöhle ins Blut gelangen, in den Gefäßwänden abzulagern. Dort lösen sie anscheinend ebenfalls Entzündungen aus, die zu Kalkablagerungen führen. Als Folgen solcher arteriosklerotischen Veränderungen drohen Herzinfarkte und Schlaganfälle. »Zwar fehlen noch die Beweise für einen ursächlichen Zusammenhang von Parodontitis, Arteriosklerose und Herz-Kreislauf-Vorfällen«, sagte Schlangenhauf, »doch deuten einige Untersuchungen darauf hin.« Eine davon, eine Langzeit-Beobachtungsstudie an 9760 Personen, veröffentlichten Dr. Frank deStefano und seine Kollegen von der US-amerikanischen Marshfield Clinic 1993 im »British Medical Journal«. Demnach weisen Parodontitis-Patienten ein 25 Prozent höheres Risiko auf, eine koronare Herzkrankheit zu entwickeln, als die Normalbevölkerung. Und 1997 belegten Wissenschaftler um Dr. Armin Grau von der Universität Heidelberg im Fachjournal »Stroke«, dass ein schlechter Zahnstatus als Folge von Parodontitis oder Karies das Schlaganfallrisiko mehr als verdoppelt.

Auch die ungeborenen Kinder von Parodontitis-Patientinnen schweben in Gefahr. Das belegt eine Studie, die 1996 im »Journal of Periodontology« erschien und von Forschern um Dr. Steven Offenbacher von der University of North Carolina stammt. Das Team hatte 93 Mütter untersucht, deren Kinder bei der Geburt zu wenig wogen. Die dabei gewonnenen Ergebnisse wurden um bekannte Einflussgrößen auf die Schwangerschaft, wie etwa Tabak- und Alkoholkonsum, bereinigt. Danach zeigte sich, dass das Risiko, ein Kind mit einem zu niedrigen Geburtsgewicht zu bekommen, um den Faktor 7,5 steigt, wenn eine Schwangere an Parodontitis leidet. Als Ursache diskutieren die Forscher, dass die Gebärmutter als Reaktion auf die Parodontitis-Keime Entzündungsbotenstoffe produziert, die das Wachstum ungeborener Kinder hemmen und vorzeitige Wehen auslösen.

Diagnose durch den Zahnarzt

Besonders gefährlich macht die chronische Parodontitis der weitgehend unauffällige, insbesondere meist schmerzlose Verlauf. Die Warnzeichen ähneln denen der Gingivitis, hinzu kommen ein Rückgang des Zahnfleisches, empfindliche Zahnhälse, dauerhafter Mundgeruch oder gelockerte Zähne. Eine gesicherte Diagnose kann aber nur der Zahnarzt stellen, indem er den Zustand des Zahnfleisches mit dem Parodontalen Screening Index (PSI) bestimmt. Dabei tastet er mit einer speziellen Sonde die Regionen zwischen Zahn und Zahnfleisch ab und gewinnt dabei Informationen über die Blutungsneigung des Zahnfleisches, die Tiefe der Zahnfleischtaschen und raue Stellen an der Zahnoberfläche. Alle zwei Jahre übernehmen die Krankenkassen die Kosten für einen PSI, mit dem sich auch Frühformen der Parodontitis erkennen lassen.

In diesem Stadium hat die meist mehrstufige Therapie besonders große Erfolgsaussichten. Mithilfe einer professionellen Zahnreinigung entfernt der Zahnarzt dabei bakterielle Beläge und Zahnstein über dem Zahnfleischrand. Weiter unten setzt er zu diesem Zweck spezielle Handinstrumente (Küretten) oder Ultraschallgeräte ein. Bei schweren Parodontitisformen muss er mitunter das Zahnfleisch sogar operativ aufschneiden, um die befallenen Zahnwurzeln zu reinigen. Manchmal verordnet er systemische Antibiotika, um die bakteriellen Erreger zu beseitigen. Im Anschluss an die Therapie brauchen die meisten Patienten regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen.

Wer nicht an Parodontitis leidet, sollte einmal im Jahr zur Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt gehen, dort alle zwei Jahre den PSI bestimmen und regelmäßig eine professionelle Zahnreinigung durchführen lassen. Das empfehlen BZÄK und Colgate-Palmolive in einer Patientenbroschüre zum diesjährigen Monat der Mundgesundheit (Oktober). Wie oft die professionelle Zahnreinigung nötig sei, richte sich nach dem individuellen Erkrankungsrisiko. Die Krankenkassen erstatten die Kosten nicht.

Ihren höchsten Nutzen entfalten zahnärztliche Prophylaxemaßnahmen im Paket mit einer gründlichen Mundhygiene zu Hause. Dabei gelte für Gesunde dieselbe Faustregel wie für Parodontitis-Patienten, sagte Oesterreich: »Zweimal täglich mindestens zwei Minuten Zähneputzen, und einmal täglich alle Zahnzwischenräume reinigen.« Denn dort sammelten sich besonders leicht Bakterien an. »Die einzig richtige Zahnputztechnik gibt es nicht«, steht in einer früheren Patientenbroschüre. Doch solle sich jeder an drei Regeln halten. Erstens: nach System vorgehen und jeden Zahn einzeln reinigen; dabei keine Zahnfläche vergessen. Zweitens: nicht zu stark aufdrücken. Drittens: nicht horizontal scheuern. Am besten eigneten sich Zahnbürsten mit einem kleinen Kopf und schonenden, weichen Borsten sowie fluoridhaltige Zahnpasten. Denn Letztere sorgen für eine Anreicherung von Mineralien an der Zahnoberfläche, härten damit den Zahn und schützen ihn vor dem Angriff der Bakterien. »Antibakterielle Mundspüllösungen können ergänzend zum Einsatz kommen«, sagte Oesterreich. »Doch dürfen sie die Reinigung der Zähne und Zahnzwischenräume nie ersetzen.«

Für Letzteres dienen Zahnseide oder Interdentalbürstchen. »Die Auswahl erfolgt unter Berücksichtigung der eigenen Geschicklichkeit, der individuellen Zahnstellung und der Größe der Zahnzwischenräume«, sagte Schlangenhauf. »Das Team in der Zahnarztpraxis sollte dabei helfen, außerdem unbedingt die Anwendung der Hilfsmittel einüben und den Nutzen betonen.« Denn der sei enorm: »Wo keine bakteriellen Beläge sind, entseht auch keine Parodontitis. Zumindest das sollten die Deutschen in Zukunft wissen und entsprechend motiviert Mundhygiene betreiben.«

Quelle: pharmazeutische-zeitung.de

Belsky Asked question 11. September 2008